11.11.2019

Wenn die Maske fällt

Vor 8 Tagen bekam ich einen Anruf von meinem Bruder, der mit mitteilte dass er bei unserer Mutter war und es ihr nicht gut ginge. Sie liegt und kann sich nicht bewegen, weil sie starke Rückenprobleme hat. Donnerstag telefonierte ich dann mit ihr. Es gab keine guten Nachrichten bezüglich meiner Schwester und ich wollte mal hören, wie es ihr geht. Ich entschied mich spät abends nach dem Gespräch, am Freitag nach der Arbeit hinzufahren. 
Was mich dort Freitag erwartete, erschlug mich. In der ganzen Wohnung roch es stechend nach Urin und meine Mutter sah aus, als würde sie bereits mit allem abgeschlossen haben. Sie hat sich wund gelegen, am Rücken waren schon offene Stellen vom Urin. Und wenn man sie fragt, warum sie nicht zum Arzt geht wird man ignoriert. Aussage ihrerseits über ihren Zustand: Lebensmut verloren. Sie will sterben. 

Wenn ich überlege, was sich meine Mutter alles geleistet hat, hätte ich gehen können und das wäre es gewesen. Stattdessen eskalierte es so, dass ich meine Mutter gefühlt anschrie und in die Mangel nahm. Mein Bruder kam später dazu und wir trafen, zusammen mit meinem Stiefvater, die Entscheidung einen Arzt zu rufen. Ich machte sowohl den Bereitschaftsdienst, als auch den Notarzt besonders auf die psychische Situation (vermutlich schwere Depression) aufmerksam. Körperlich untersuchen lassen wollte sie sich nicht. Aber kaum war der Arzt da, ging die Show meiner Mutter los. Der Arzt hat ihr übergangsweise Antidepressiva verschrieben und sie wollte nach dem Wochenende zum Hausarzt um dann wegen einer Einweisung wegen des Rückens zu schauen. Erstmal abklären, was körperlich vorliegt. Ob meine Mutter es zulassen wird, dass man nach ihrer Seele schaut. Keine Ahnung. Diese Frau lebt in ihrer eigenen Welt, die sich so gemacht hat wie sie ihr passt. Sie lügt und sie manipuliert. 

Und sie hat mir Freitag ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich wusste schon seit vielen Jahren, dass es die größte Enttäuschung ihres Lebens war dass ich kein Junge geworden bin. Spätestens ab der Pubertät wurde mein zunehmend weiblicher Körper negativ kommentiert und bewertet. Und bereits bei der ersten Krebserkrankung meiner Schwester wurde darüber gesprochen, wie schrecklich es ist dass ihre Wertvollste das nun hat. Freitag hat sie auch gesagt, ihr Herz sei gebrochen und es gibt keinen Grund weiter zu leben. Während ihr Mann und ich im selben Raum war. Ich habe dann nur zu meinem Stiefvater gesagt, dass es wirklich schön ist, so was vor den Latz geknallt zu kriegen. 

Als ich Freitag ihre Wohnung verließ, ging ich als andere Person. Ich weiß jetzt endgültig, dass ich meiner Mutter egal bin. Dass ich es immer war. Und ich habe es akzeptiert.