29.11.2021

29/11/2021

Ein Jahr älter. Irgendwie nicht weiser. Aber dafür einen kleinen Schritt weiter, was meine Therapie angeht. Meine Therapeutin ist sehr sicher, dass ich an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung leide, dem impulsiven Typ. Keine Borderlinerin, aber nahe dran. Meine Eßstörung ist ein Bestandteil des großen Ganzen. Und je mehr ich darüber lerne und mich betrachte, desto offensichtlicher wird es. Ist es eine Erleichterung zu wissen, was los ist? Definitiv ja. Macht es die Dinge einfacher? Natürlich nicht. Ich kann nun bestimmte Situationen besser nachvollziehen und auch für mich aufschlüsseln. Aber es liegt so viel Arbeit vor mir.
Für mich ist es wichtig zu sehen, dass ich mich nicht anstelle (typische Aussage meiner Mutter) oder mir etwas einbilde. Es sind Dinge passiert, die dafür gesorgt haben dass diese Störung da ist. Und es wird ein hartes und schmerzhaftes Stück Arbeit alles aufzudröseln. Momentan denke ich, dass ich einfach aufgeben sollte. Aber tief in mir ist weiterhin der Gedanke, dass es mir irgendwann besser gehen wird. Und ich mit meinen Emotionen richtig umgehen kann. Und mich selber nicht mehr klein rede oder mich für wertlos halte

03.11.2021

03/11/2021

Ich versuche, gut zu mir selbst zu sein. Besser mit mir umzugehen. Und mich bewusster wahrzunehmen. Nicht mehr meine Mutter aus mir sprechen zu lassen.
Kleine Änderungen in den Alltag zu integrieren. Morgens schneller aufstehen, Einkäufe vor der Arbeit erledigen. Abends früher den Flugmodus einschalten und wieder lesen. Außerdem eigene Gedanken festhalten. Und mich mal wieder von Spielen, Filmen und Musik berühren lassen. 
Heute Morgen ein kleiner Weinanfall unter der Dusche. Weil ich an meine Schwester denken musste. Immer noch nicht komplett mit der Trauer umgehen können. 
Mich insgesamt ruhiger fühlen. Als sei letzte Woche ein Knoten geplatzt. Der Schlüssel ist in meiner Hand und ich darf Angst davor haben, dieses Schloß zu öffnen. Ich muss es tun. 

01.11.2021

Aus Ihnen spricht ihre Mutter

Ungefähr der letzte Satz, den ich gesagt bekommen möchte. Dabei ist es so wichtig genau diesen Satz zu hören. Damit endlich dieser Damm bricht und ich den Mut finde, die schmerzende Wunde zu öffnen. Letzten Donnerstag einen Termin bei der Therapeutin. Beim Aufwachen und auf dem Weg zu ihr noch ziemlich gut gefühlt. Als ich bei ihr im Raum sitze und sie mich fragt, wie es mir geht, bricht irgendwas. Ich sage, dass ich es nicht weiß. Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich weiß nicht, ob es mir irgendwann mal wieder besser geht und ob ich überhaupt noch weiter machen kann und will. Es folgt ein unglaublich heftiger emotionaler Zusammenbruch. Von dem ich selber immer noch nicht weiß, wo er her kommt. Ich sage, dass ich eine Versagerin bin. Ich schaffe es nicht gegen die Essstörung an zu kämpfen. Ich habe nichts im Leben erreicht und rede mich raus, dass ich mich nicht um mich kümmern kann, bis der Nachlass meiner Schwester geregelt ist. Meine Therapeutin lässt das nicht gelten, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Sie zeigt mir nicht nur auf, dass ich eine Menge erreicht habe sondern sagt auch die wichtigsten Sätze überhaupt: 'Sie blockieren, weil sie sich nicht mit dem Schmerz auseinander setzen wollen. Aber egal wie oft sie vor dem Schmerz weglaufen, er wird sie wieder einholen. Aus Ihnen spricht ihre Mutter'. Sie macht mir bewusst, dass ich eigentlich nur das Gift wiederhole, dass meine Mutter mir jahrelang rhetorisch verabreicht hat. Und sie zeigt mir sehr deutlich auf, dass die Auseinandersetzung damit der Schlüssel zu meiner Essstörung ist.

Nach der Sitzung fahre ich emotional angekratzt nach Hause. Aber im Laufe des Tages geht es mir besser. Ich fühle mich insgesamt ruhiger und ausgeglichener. Ich muss aufhören Ausflüchte zu finden und mich der ganzen Scheiße stellen. Egal, wie schmerzhaft es wird. Ich muss das aushalten, sonst wird es mich ein Leben lang immer wieder an den Punkt bringen, an dem ich nicht mehr kann. Ich muss aufhören, meiner Mutter immer noch diese Macht zu geben. Niemand darf diese Macht über mein Leben haben. Ich werde ihr wahrscheinlich nie verzeihen können. Weil sie einfach nicht in der Lage ist zu verstehen, was sie getan hat und weil sie nie Reue zeigen wird. Aber ich muss ihre Mechanismen aus meinem Bewusstsein bekommen. Mir nicht einreden, dass ich ein Stück Scheiße bin. Und nicht das Kind, was sie wollte. Ich bin da. Ich habe das Recht zu existieren, zu leben wie ich will und glücklich zu sein. So wie ich bin. Ob es ihr passt oder nicht