28.05.2021

28/05/2021

Sich fühlen, als würde man versagen. Weil man einfach einsehen muß, dass es nicht so einfach ist den Nachlass im Ausland zu regeln. Ich kann nicht Arbeit, psychische Gesundheit, Essstörung und den Nachlass jonglieren. Wir müssen unser Geld zusammen kratzen und einen Anwalt nehmen. Damit am Ende niemand von uns einen Fehler macht und wir rechtlich belangt werden. 
Ich kann nicht verstehen, dass man vom bevorstehenden Tod weiß und nichts geregelt hat. Die Pandemie Situation besteht seit mehr als einem Jahr. 
Alles ist ein Schlag ins Gesicht. Ich trauere absolut nicht mehr. Und ich weiß auch nicht, ob ich es in absehbarer Zeit nochmal kann. 

21.05.2021

21/05/2021

Tränen in einem Meeting, bei dem ich zum Glück nur zuhören muß. Übergriffige Nachrichten zum Ich-weiß-nicht-wievielten-Mal von der gleichen Person. Ich wusste nicht, dass ich als kleine Schwester Zeugnis darüber ablegen muß, ob das Online Kondolenzbuch geschlossen wird oder nicht. Ist unwichtig für mich. Besagter Person mindestens schon zwei Mal geschrieben, dass die Asche meiner Schwester irgendwann verstreut wird (wenn Reisen wieder möglich ist und wir geimpft sind). Heute die Frage, ob die Bestattung schon war. Besagte Person fragte auch schon, ob meine Schwester vielleicht Suizid begangen hat.
Ich kannte meine Schwester 43 Jahre. Meine anderen Geschwister kannten sie 52. Wir versuchen gerade den Nachlass zu regeln. Es lösen sich kleinere Sachen, aber wir haben immer noch keine Übersicht. Keine Sterbeurkunde. Keine Ahnung.
Ich ziehe Grenzen und sage, dass es reicht. Ich bin nicht die Traueransprechpartnerin und muß über alles Auskunft geben. Menschen brauchen keine Samthandschuhe, um mich anzufassen. Aber vielleicht würde ein bisschen Sensibilität mal helfen. Ich weiß, dass du meine Schwester ein paar Jahre kanntest. Ich kannte sie mein ganzes Leben lang. 
Die Momente in denen ich schreien möchte, werden weniger. Ich versuche ruhig zu bleiben. Mich um meine mentale Gesundheit zu kümmern. Acht zu geben. Kräfte zu sammeln. Ich denke daran, dass meine letzte Umarmung mit meiner Schwester nur noch die mit einer Urne sein wird. Alles was ich letztes Jahr befürchtet habe, ist wahr geworden.
Einer meiner Säulen ist weg. Ein Teil meiner DNA ist verschwunden. Heute ist die Trauer da. Ich akzeptiere die Tränen und lasse sie einfach von meinem Gesicht über meinen Hals und in mein Dekolleté laufen.

20/05/2021

Tag beginnen und erstmal ganz ok fühlen. Dann realisieren, dass es Donnerstag ist. Woche 8 nach dem Tod meiner Schwester. Versuchen stark zu sein. Zur Therapie gehen und erzählen, was passiert sind. Der Therapeutin fällt sofort auf, dass ich ruhiger bin. Seit 4 Tagen kein Essanfall. Kleine Schritte gehen.
In der Bahn plötzlich einen Weinkrampf kriegen. Trauer ist unberechenbar. Sie schlägt überall zu. Egal, wo du gerade bist. Egal, was du gerade machst. Auf Antworten warten, um Dinge regeln zu können. Warten, warten, warten. Geduld wird nie mein zweiter Vorname. Akzeptieren, dass die Trauer erst dann möglich ist, wenn Dinge geregelt sind. Also die richtige Trauer. Die dich erschlägt und tagelang außer Gefecht setzt. 
Ich werde zu Boden geworfen, ich stehe auf. Ich will nicht mehr weiter machen, ich stehe auf. Ich will vor allem weg laufen, aber bleibe stehen. 

17.05.2021

17/05/2021

Der graue Himmel spiegelt sich in den Pfützen auf dem Asphalt. Ich spüre eine Hitze im Hinterkopf aufsteigen.
In meinem Kopf explodieren die Gedanken. Ich versuche einzelne festzuhalten, aber sie sind zu schnell.
Ich fühle nichts. Oder alles auf einmal. Ich möchte weg rennen. Vor allem. Vor der Verantwortung. Vor den negativen Gefühlen. 
Das Grün der Bäume erinnert mich daran, dass es Frühling ist. Auch wenn es sich wie Herbst anfühlt. Hinter den Fenstern dieser Stadt leben Menschen ihr Leben. Und ich frage mich, ob es ihnen gerade auch so schwer fällt wie mir. Haben sie es auch satt? Fühlen sie sich erschöpft und emotional völlig ausgebrannt? Und denken sie gerade, dass da draußen jemand vorbei läuft, dem es genauso geht. 

16.05.2021

16/05/2021

Immer wieder das Gefühl, nicht weiter machen zu können. Nicht gut genug zu sein. Nie gut genug zu sein. Mache ich gerade alles richtig? Laufe ich gerade vorsichtig genug über Glas? Nehme ich genügend Rücksicht?
Heute morgen sehr früh aufstehen, während der Mann noch schläft. Um 'On Connection' von Kae Tempest zu Ende lesen. Danach wieder ins Bett gehen. Mich wortlos auf die Brust des Mannes legen und dann 10 Minuten weinen. Weil jedes Wort mich angesprochen hat. Ständig das Gefühl zu haben, dass die eigenen Gefühle nicht richtig sind. An sich selbst zu zweifeln, weil man es jedem recht machen will. Und dabei sich selbst völlig vergisst. Nicht mehr mit dem eigenen Leben verbunden zu sein, weil gefühlt gerade alles zusammen bricht. Den Halt verlieren. Keinen Augenblick festhalten zu können. Sich selbst an nichts klammern zu können. Nicht mehr wissen und fühlen, wer man selber eigentlich ist. Weil man immer versucht hat, der eigenen Mutter irgendwie und endlich mal gut genug zu sein. Mit 43 wieder realisieren, dass man es nie sein wird. Vielleicht diesmal endlich damit klar kommen und es akzeptieren. Oder erneut scheitern.
Gefühle immer wieder in Frage stellen. Ein schlechtes Gewissen haben, wenn man toxische Menschen aus seinem Leben verbannt. Daran scheitern Grenzen zu ziehen. Immer wieder zulassen, dass Menschen verletzen oder zu nahe kommen.
Irgendwann im Moment sein. Den Bart des Mannes kraulen. Kraft sammeln, um weitere Dinge zu regeln. Wissen, dass ein nächster kleiner Zusammenbruch inklusive Essanfall immer nur ein paar Schritte entfernt ist. 
Trotzdem Mut sammeln und es weiter versuchen. Nicht aufgeben. Weil da jemand ist, dem du alles bedeutest. Und absolut genug bist. So wie du bist. 
Worte finden und sie schreiben. Sie einfach zulassen. Ohne sie zu bewerten. Oder sie für falsch zu halten.